a) Das in § 48 AMG geregelte Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Verschreibung ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG.
b) Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 AMVV erfordert eine eigene Therapieentscheidung des behandelnden Arztes auf der Grundlage einer vorherigen, regelgerechten eigenen Diagnose, die der Verschreibung vorausgeht. Daran fehlt es, wenn ein Apotheker einen Arzt, der den Patienten nicht kennt und insbe-sondere zuvor nicht untersucht hat, um Zustimmung zur Abgabe eines Medi-kaments bittet.
c) Falls auf andere Art und Weise eine erhebliche, akute Gesundheitsgefähr-dung des Patienten nicht abzuwenden ist, kann die Abgabe eines verschrei-bungspflichtigen Medikaments durch den Apotheker im Einzelfall in analoger Anwendung von § 34 StGB in Betracht kommen, obwohl ihm weder ein Re-zept vorgelegt wird noch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AMVV erfüllt sind.
BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 – I ZR 123/13 – OLG Stuttgart

BGH URTEIL I ZR 123/13 vom 8. Januar 2015 – Abgabe ohne Rezept

UWG § 4 Nr. 11; ArzneimittelG § 48 Abs. 1; AMVV § 4 Abs. 1

a) Das in § 48 AMG geregelte Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Verschreibung ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG.
b) Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 AMVV erfordert eine eigene Therapieentschei-dung des behandelnden Arztes auf der Grundlage einer vorherigen, regelge-rechten eigenen Diagnose, die der Verschreibung vorausgeht. Daran fehlt es, wenn ein Apotheker einen Arzt, der den Patienten nicht kennt und insbe-sondere zuvor nicht untersucht hat, um Zustimmung zur Abgabe eines Medi-kaments bittet.
c) Falls auf andere Art und Weise eine erhebliche, akute Gesundheitsgefähr-dung des Patienten nicht abzuwenden ist, kann die Abgabe eines verschrei-bungspflichtigen Medikaments durch den Apotheker im Einzelfall in analoger Anwendung von § 34 StGB in Betracht kommen, obwohl ihm weder ein Re-zept vorgelegt wird noch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AMVV erfüllt sind.
BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 – I ZR 123/13 – OLG Stuttgart
LG Ravensburg
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-lung vom 8. Januar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Dr. Löffler und die Richterin Dr. Schwonke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Juni 2013 unter Zurückwei-sung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und in-soweit aufgehoben, als die Klage mit Ausnahme der Anträge auf Auskunft über Vor- und Nachnamen der Kunden und auf Zahlung eines Betrags von mehr als 1.099 € nebst Zinsen abgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ravensburg vom 15. November 2012 unter Zurück-weisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise abgeändert (Urteilsformel zu 2 und 4) und insoweit wie folgt neu gefasst:
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft dar-über zu erteilen, seit wann und in welchem Umfang Handlungen gemäß Ziffer 1 begangen wurden unter genauer Angabe der Bezeichnung und Menge des Arzneimittels aufgeschlüsselt nach Monaten.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.099 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
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dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27. August 2011 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien betreiben jeweils eine Apotheke in A. .
Die Kundin E. , der das verschreibungspflichtige, blutdrucksen- kende Medikament Tri Normin 25 bereits seit Jahren ärztlich verordnet wurde, pflegte die Rezepte beim Kläger einzulösen. Auch am Samstag, dem 26. Fe-bruar 2011, erschien sie zunächst in der Apotheke des Klägers, um das Arz-neimittel zu erwerben. Ihr war das Medikament ausgegangen und sie hatte es versäumt, sich bei ihrem Arzt eine neue Verordnung ausstellen zu lassen. Eine Mitarbeiterin des Klägers lehnte die Abgabe des Medikaments ohne Verord-nung ab und verwies die Kundin auf den 15 Kilometer entfernten ärztlichen Notdienst in Bad S. . Die Kundin E. suchte daraufhin die Apothe- ke der Beklagten auf und erhielt dort eine Packung des Mittels mit 100 Ta-bletten ohne ärztliche Verordnung.
Der Kläger sieht in dem Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen das Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Rezept. Er hat die Beklagte auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Zahlung von Ab-mahnkosten in Anspruch genommen und die Feststellung der Schadensersatz-verpflichtung der Beklagten begehrt.
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Die Beklagte macht geltend, die Zeugin sei dringend auf das von ihr re-gelmäßig eingenommene Medikament angewiesen gewesen, das nach Aus-kunft einer mit der Beklagten befreundeten Ärztin habe unbedenklich an die Zeugin abgegeben werden können.
Das Landgericht hat die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt,
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr verschreibungspflichtige Arznei-mittel an Verbraucher ohne ärztliche Verschreibung abzugeben, wenn dies ge-schieht wie im Fall Frau H. E. , der am 26. Februar 2011 von der Beklagten das Arzneimittel Tri Normin in einer Verpackungsgröße von 100 Stück ohne Vorliegen einer ärztlichen Verordnung verkauft wurde.
Außerdem hat das Landgericht die Beklagte zur Auskunft verurteilt und ihre Verpflichtung zum Schadenersatz festgestellt. Abmahnkosten hat es dem Kläger unter Abweisung seines insoweit weitergehenden Antrags in Höhe von 507,50 € zuzüglich Zinsen zugesprochen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurück-weisung der Anschlussberufung des Klägers die Klage abgewiesen (OLG Stutt-gart, Urteil vom 13. Juni 2013 2 U 193/12, juris).
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts sowie die Verurteilung der Be-klagten zur Zahlung weiterer Abmahnkosten in Höhe von 872,30 € zuzüglich Zinsen.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stünden gegen die Beklagte weder ein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 48 AMG noch die darauf bezogenen Folgeansprüche und Abmahnkosten zu. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beklagte habe zwar gegen die Bestimmung des § 48 AMG versto-ßen, die eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG sei. Die Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept sei nicht nach § 4 Abs. 1 der Arzneimit-telverschreibungsverordnung zulässig gewesen. Die Beklagte habe gewusst, dass die Kundin E. über keine Verschreibung eines behandelnden Arztes verfügt habe. Nachdem die Beklagte zunächst erfolglos versucht habe, den behandelnden Arzt über seine Privatnummer zu erreichen, habe sie die ihr bekannte Ärztin Dr. F. angerufen, die ihr nach Schilderung des Sachver- halts erklärt habe, sie könne das Medikament an die Patientin abgeben. Damit seien die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AMVV nicht erfüllt. Eine keinen Auf-schub duldende Gesundheitsgefährdung der Kundin habe nicht bestanden. Diese habe beim Besuch der Apotheke der Beklagten unter keinen Ausfaller-scheinungen gelitten. Auch die Beklagte sei davon ausgegangen, dass das Medikament noch fortwirke. Wie der Beklagten bewusst gewesen sei, hätte die Patientin ohne weiteres den ärztlichen Notdienst im 15 Kilometer entfernten Bad S. aufsuchen können, um ein Rezept zu erhalten.
Trotz des Verstoßes der Beklagten gegen § 48 AMG sei die Klage je-doch unbegründet, weil es unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falls an der erforderlichen Spürbarkeit der Beeinträchtigung der Interessen der Verbraucher und der Mitbewerber im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG fehle. Die Beklagte habe sich in einem außergewöhnlichen Entscheidungskonflikt befun-
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den. Sie habe gewusst, dass die Patientin wegen ihrer gravierenden Krank-heitsgeschichte auf das Medikament angewiesen gewesen sei. Nachdem die Beklagte vergeblich versucht habe, den behandelnden Arzt zu erreichen, habe sie die Erklärung der Ärztin Dr. F. , sie könne das Medikament an die Pati- entin abgeben, aus juristischer Laiensicht als Verschreibung durch diese Ärztin verstehen können. Mangels Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes seien auch die weiteren vom Kläger geltend gemachten Ansprüche unbegründet.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben weitgehend Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zu-rückweisung der Berufung der Beklagten mit Ausnahme des Antrags des Klä-gers auf Auskunft über Vor- und Nachnamen der Kunden sowie auf die An-schlussberufung des Klägers zur Abänderung des landgerichtlichen Urteils und zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer Abmahnkosten in Höhe von 591,50 € nebst Zinsen. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Spürbar-keit des Wettbewerbsverstoßes der Beklagten verneint. Die Verurteilung der Beklagten erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Abmahn-kosten stehen dem Kläger aus einem höheren als dem vom Landgericht ange-nommenen Wert zu.
1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der von ihm bejahte Verstoß der Beklagten gegen § 48 AMG sei aufgrund der Umstände des Streitfalls nicht spürbar im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG.
a) Das in § 48 AMG geregelte Verbot der Abgabe verschreibungspflichti-ger Arzneimittel ohne Verschreibung ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Es wirkt sich unmittelbar auf den Wettbewerb zwischen Apotheken aus (MünchKomm.UWG/Schaffert, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 295; von Jagow in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 50; Groß-komm.UWG/Metzger, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 100; vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 1987, 295) und dient dem Schutz der Patienten vor gefährlichen Fehlmedikatio-
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nen (vgl. Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 Rn. 6 f.; Heßhaus in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 48 AMG Rn. 1; Pabel, PharmR 2009, 499).
Der Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG steht im Streitfall nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken keinen die-ser Vorschrift vergleichbaren Unlauterkeitstatbestand kennt. Die Richtlinie 2005/29/EG bezweckt gemäß ihrem Art. 4 allerdings die vollständige Harmoni-sierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, soweit sie die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen. Ge-mäß ihrem Art. 3 Abs. 3 sowie ihrem Erwägungsgrund 9 bleiben die Rechtsvor-schriften der Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten jedoch unberührt. Dabei kommt im Streitfall hinzu, dass durch § 48 AMG der Titel VI und insbesondere Art. 71 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in das deutsche Recht umgesetzt wird (vgl. Rehmann, Arzneimittelgesetz, 4. Aufl., § 48 Rn. 1). Die Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG steht daher mit der Richtlinie 2005/29/EG im Einklang, soweit Marktverhaltensregelungen – wie hier – dem Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern dienen (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. September 2010 I ZR 193/07, GRUR 2010, 1136 Rn. 13 = WRP 2010, 1482 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; Urteil vom 13. Dezember 2012 I ZR 161/11, GRUR 2013, 857 Rn. 11 = WRP 2013, 1024 – Voltaren).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Verstöße ge-gen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbrau-cher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG spürbar zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 26. März 2009 I ZR 213/06, BGHZ 180, 355 Rn. 34 Festbetragsfestsetzung; Urteil vom 4. November 2010 I ZR 139/09, GRUR 2011, 633 Rn. 36 = WRP
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2011, 858 BIO TABAK). Diese Beurteilung wird, soweit ersichtlich, in der Lite-ratur einhellig geteilt (vgl. nur Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 3 Rn. 149; Podszun in Harte/Henning aaO § 3 Rn. 149; Ullmann in Ullmann, jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 3 Rn. 76; Lehmler in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerb-licher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 3 UWG Rn. 55).
c) Danach sind Verstöße gegen die in § 48 AMG geregelte Verschrei-bungspflicht stets spürbar. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für einzelfallbezogene Abwägun-gen, aufgrund derer die Spürbarkeit verneint werden kann, in diesem Zusam-menhang keinen Raum. Anders als die Revisionserwiderung meint, kommt es nicht darauf an, ob die bisherige Senatsrechtsprechung zu dieser Frage durch-weg zu Fällen einer an das allgemeine Publikum gerichteten Werbung oder zu Fallgestaltungen ergangen ist, in denen der in Anspruch Genommene als Arz-neimittelhersteller aufgetreten war und seine beanstandete geschäftliche Aktivi-tät von vornherein auf eine Vielzahl von Fällen ausgerichtet hat. Das hohe Schutzgut der menschlichen Gesundheit und die großen Gefahren, die mit einer Fehlmedikation verschreibungspflichtiger Medikamente verbunden sind, erfor-dern es vielmehr, Verstöße gegen die Verschreibungspflicht grundsätzlich als unlauter anzusehen.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus an-deren Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler einen Verstoß der Beklagten gegen § 48 AMG bejaht.
a) Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 AMG dürfen Arzneimittel, die durch Rechtsver-ordnung nach Absatz 2 bestimmte Stoffe, Zubereitungen aus Stoffen oder Ge-genstände sind oder denen solche Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen zu-gesetzt sind, nur bei Vorliegen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztli-chen Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden. Auf der Grundlage des § 48 Abs. 2 AMG ist die Verordnung über die Verschreibungspflicht von
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Arzneimitteln vom 21. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3632) ergangen. Nach § 1 AMVV dürfen Arzneimittel, die die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen, nur bei Vorliegen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschrei-bung abgegeben werden, wenn in der Arzneimittelverschreibungsverordnung nichts anderes bestimmt ist. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Arz-neimittel Tri Normin 25 der Verschreibungspflicht unterfällt. Die Voraussetzun-gen eines Ausnahmetatbestands nach der Arzneimittelverschreibungsverord-nung sind im Streitfall nicht erfüllt. In Betracht kommt allein § 4 Abs. 1 AMVV. Diese Bestimmung greift vorliegend nicht ein.
aa) Nach § 4 Abs. 1 AMVV kann die verschreibende Person den Apothe-ker in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, über die Verschreibung und deren Inhalt unterrichten, wenn die Anwendung eines verschreibungspflich-tigen Arzneimittels keinen Aufschub erlaubt. Der Apotheker hat sich über die Identität der verschreibenden Person Gewissheit zu verschaffen. Die verschrei-bende Person hat dem Apotheker die Verschreibung in schriftlicher oder elek-tronischer Form unverzüglich nachzureichen.
Die Darlegungs- und Beweislast für diesen Ausnahmetatbestand trifft die Beklagte (vgl. allgemein BGH, Urteil vom 19. November 2009 I ZR 186/07, GRUR 2010, 160 Rn. 15 = WRP 2010, 250 Quizalofop).
bb) Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, setzt § 4 Abs. 1 AMVV eine eigene Therapieentscheidung des behandelnden Arztes auf der Grundlage einer vorherigen, regelgerechten eigenen Diagnose voraus, die der Verschreibung vorausgeht. Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 AMVV sieht keinen Verzicht auf die ärztliche Verschreibung vor. Vielmehr gestattet sie ledig-lich, dass der Apotheker über die bereits erfolgte Verschreibung in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, unterrichtet werden kann (vgl. Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, § 17 Rn. 712 (Stand September 2012)). Dabei ist es nach dem vom Gesetz vorausgesetzten Regelfall der Arzt, der von sich aus
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den Apotheker unterrichtet. Allerdings wird es zu Recht als ausreichend ange-sehen, wenn der Apotheker den behandelnden Arzt anruft, um festzustellen, ob eine entsprechende Verschreibung vorliegt (vgl. LG Berlin, StV 1997, 309; We-ber, BtMG, 4. Aufl., § 48 AMG Rn. 22). Demgegenüber fehlt es an der erforder-lichen Therapieentscheidung des Arztes, wenn ein Apotheker einen Arzt, der den Patienten nicht kennt und deshalb zuvor nicht untersucht hat und nicht be-handelnder Arzt des Patienten ist, um Zustimmung zur Abgabe eines Medika-ments bittet. § 4 Abs. 1 AMVV lässt es nicht zu, dass der Apotheker einen Arzt erst zu einer Verschreibung für einen ihm unbekannten Patienten veranlasst.
So liegt es indes im Streitfall. Die Beklagte hat von sich aus die mit ihr befreundete Ärztin Dr. F. angerufen, um von ihr zu erfahren, ob die der Ärztin unbekannte und von ihr zu keinem Zeitpunkt untersuchte Kundin E. das Medikament erhalten dürfe. Auch wenn Frau Dr. F. daraufhin das Medikament verschrieben haben sollte, könnte dies den Tatbestand des § 4 Abs. 1 AMVV nicht erfüllen.
b) Die Abgabe des Medikaments durch die Beklagte ist auch nicht unter dem Aspekt eines rechtfertigenden Notstands analog § 34 StGB gerechtfertigt.
aa) Falls auf andere Art und Weise eine erhebliche, akute Gesundheits-gefährdung des Patienten (vgl. Weber aaO § 48 AMG Rn. 19) nicht abzuwen-den ist, kann die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments durch den Apotheker in engen Grenzen im Einzelfall analog § 34 StGB in Betracht kommen, obwohl ihm weder ein Rezept vorgelegt wird noch die Voraussetzun-gen des § 4 Abs. 1 AMVV erfüllt sind (vgl. Cyran/Rotta aaO § 17 Rn. 707, 718; Pfeil/Pieck/Blume, Apothekenbetriebsordnung, § 17 Rn. 45 (Stand 2014)). Um festzustellen, ob ein solcher Sachverhalt vorliegt, kann der Apotheker Auskünfte anderer Ärzte einholen, wenn der den Patienten behandelnde Arzt nicht erreicht werden kann.
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bb) Im Streitfall kann sich die Beklagte auf diesen Rechtfertigungsgrund indes nicht mit Erfolg berufen.
(1) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe nicht dar-gelegt, dass die Anwendung des verschreibungspflichtigen Arzneimittels wegen des Gesundheitszustands der Patientin keinen Aufschub mehr erlaubt hätte. Vielmehr habe eine ärztliche Kontrolle und eine darauf aufbauende Verschrei-bung durch den ärztlichen Notdienst im nur 15 Kilometer entfernten Bad S. abgewartet werden können. Die einem Geschäftstermin ihres Ehemanns in der Schweiz vorgeschaltete Ausflugsreise hätte ohne nennenswerte Umwege am Samstag über Bad S. erfolgen können. Die Beklagte habe zwar gel- tend gemacht, dass bei der an Bluthochdruck leidenden Patientin ohne Ein-nahme des schon seit Jahren verordneten Medikaments noch am Wochenende ein lebensbedrohlicher Zustand hätte eintreten können. Damit werde aber eine zeitnahe, unmittelbar bevorstehende gesundheitliche Gefährdung nicht darge-legt. Die Patientin habe auch noch keine Ausfallerscheinungen gezeigt.
(2) Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung erlaubt die Anwendung eines Arzneimittels nicht schon dann zur Abwendung einer erheblichen, akuten Gesundheitsgefährdung keinen Aufschub, wenn einem Patienten die verordne-te regelmäßige Einnahme eines Medikaments nicht möglich ist, falls ihm das Medikament nicht unverzüglich ausgehändigt wird. Die Frage, ob die Anwen-dung des Arzneimittels keinen Aufschub erlaubt, hängt auch im Fall der Unter-brechung einer regelmäßigen Einnahme davon ab, wann diese Unterbrechung für den Patienten ernsthafte Konsequenzen haben kann. Deshalb ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine zeitna-he, unmittelbar bevorstehende gesundheitliche Gefährdung der Patientin E. mit der Erwägung verneint hat, die Beklagte habe selbst eine Fortwir- kung des blutdrucksenkenden Mittels nach der letzten Einnahme vorgetragen.
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Die mit dem Aufsuchen des ärztlichen Notdienstes im nahegelegenen Bad S. verbundene kurzfristige Verzögerung der nächsten Medikamentenein- nahme konnte unter diesen Umständen von der Patientin wie das Berufungs-gericht zu Recht angenommen hat ohne weiteres hingenommen werden.
Anders als die Revisionserwiderung meint, wird dem Apotheker bei die-ser Beurteilung nicht zugemutet, mit der Medikamentenabgabe zuzuwarten, bis der Patient kurz vor einer lebensbedrohlichen Situation steht. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte nicht dargelegt hat, die Patientin E. hätte erhebliche, akute gesundheitliche Beeinträchtigungen zu befürchten gehabt, wenn sie den Notdienst in Bad S. aufgesucht hätte.
3. Das Berufungsgericht hat es deshalb zu Recht als Verstoß gegen § 48 Abs. 1 AMG angesehen, dass die Beklagte der Kundin E. unter den näher festgestellten Umständen das Medikament Tri Normin 25 ausgehändigt hat. Es kommt deshalb nicht mehr auf den weiteren Vortrag des Klägers an, die Beklagte habe auch im Fall Fr. H. gegen § 48 AMG verstoßen, weil dieser am 6. November 2012 in ihrer Apotheke ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel ohne gültiges Rezept erwerben konnte.
III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
1. Der Unterlassungsantrag des Klägers ist zulässig, insbesondere hin-reichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, und nach §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 AMG begründet.
2. Die Anträge des Klägers auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung sind gemäß § 9 UWG, § 242 BGB ebenfalls weitgehend begründet.
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Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, fällt der Beklagten jeden-falls Fahrlässigkeit zur Last. Maßgeblich ist im Streitfall der Sorgfaltsmaßstab eines Angehörigen der Fachkreise der Apotheker und nicht wovon das Beru-fungsgericht rechtsfehlerhaft ausgegangen ist derjenige eines juristischen Laien. Danach konnte die Beklagte als Apothekerin, die mit den einschlägigen Vorschriften über die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel vertraut sein musste, ohne weiteres erkennen, dass der Patientin E. eine Fahrt zum ärztlichen Notdienst nach Bad S. zuzumuten war. Stattdessen hat sie sich, nachdem der behandelnde Arzt nicht erreichbar war, pflichtwidrig für die Abgabe des Medikaments auf die telefonische Auskunft der ihr bekannten Ärztin Dr. F. verlassen, die die Patientin E. weder untersucht hat- te noch überhaupt kannte.
Ungeachtet der Beschränkung des Unterlassungsantrags auf die konkre-te Verletzungsform steht dem Kläger ein Auskunftsanspruch für kerngleiche Handlungen zu.
Allerdings ist der Auskunftsantrag nur zum Teil begründet. Die Angabe der Vor- und Nachnamen der Kunden, an die von der Beklagten Arzneimittel ohne Verschreibung abgegeben worden sind, kann der Kläger nicht verlangen. Die Weitergabe dieser Daten ist der Beklagten nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Hinblick auf das berechtigte Interesse der betroffenen Patienten an der Wah-rung der Vertraulichkeit ihrer persönlichen Daten untersagt. Die Namen der Kunden sind zur Durchsetzung des für den Kläger in Betracht kommenden Schadenersatzanspruchs nicht erforderlich.
3. Die Anschlussberufung des Klägers ist überwiegend begründet.
Das Landgericht hat dem Kläger auf der Grundlage eines Streitwerts von 7.000 € Abmahnkosten einschließlich Auslagenpauschale in Höhe von 507,50 € zuzüglich Zinsen zugesprochen. Auf die Streitwertbeschwerde des Klägers hat
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das Berufungsgericht den Streitwert im Berufungsurteil auf 32.000 € festge-setzt. Die dem Kläger zustehenden Abmahnkosten berechnen sich auf dieser Grundlage aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr gemäß Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG aF von 1.079,00 € zuzüglich der Auslagenpauschale von 20 €, so dass sie insgesamt 1.099,00 € betragen.
Nachdem das Landgericht dem Kläger nur 507,50 € zugesprochen hat, ist die Beklagte auf die Anschlussberufung zur Zahlung weiterer 591,50 € zu verurteilen. Im Übrigen ist die Anschlussberufung unbegründet.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Büscher Schaffert Kirchhoff
Löffler Schwonke
Vorinstanzen:
LG Ravensburg, Entscheidung vom 15.11.2012 – 7 O 76/11 KfH 1 –
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 13.06.2013 – 2 U 193/12 (2 W 2/13) –

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