Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV folgende
die Auslegung des Unionsrechts betreffenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Muss die Kommission in einer Entscheidung, mit der sie wegen eines Verstoßes gegen
Art. 101 AEUV eine Geldbuße gegen mehrere natürliche oder juristische Personen als Gesamtschuldner
verhängt, auch eine abschließende Regelung zu der Frage treffen, in welchem
Verhältnis die Geldbuße intern auf die einzelnen Gesamtschuldner aufzuteilen ist?
2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
a) Ist eine Entscheidung der Kommission, die keine ausdrückliche Anordnung zur Verteilung im
Innenverhältnis enthält, dahin auszulegen, dass die Geldbuße intern von allen Gesamtschuldnern
zu gleichen Teilen zu tragen ist?
b) Für den Fall, dass Frage 2 a zu verneinen ist:
Kann die Entscheidungslücke, die entsteht, wenn die Kommission die Verteilung der Geldbuße
im Innenverhältnis nicht regelt, durch die Gerichte der Mitgliedstaaten geschlossen
werden, ohne dass es einer ergänzenden Entscheidung der Kommission bedarf?
3. Für den Fall, dass Frage 1 zu verneinen oder Frage 2 b zu bejahen ist:
Enthält das Unionsrecht Vorgaben zu der Frage, wie die Geldbuße im Innenverhältnis auf
die Gesamtschuldner zu verteilen ist?
4. Für den Fall, dass Frage 1 oder Frage 3 zu bejahen ist:
Kann ein Gesamtschuldner, der die Geldbuße ganz oder teilweise gezahlt hat, Ausgleichsansprüche
gegen die anderen Gesamtschuldner schon geltend machen, bevor eine rechtskräftige
Entscheidung über ein gegen die Festsetzung der Geldbuße eingelegtes Rechtsmittel
ergangen ist?

BGH BESCHLUSS KZR 15/12 vom 9. Juli 2013 – Calciumcarbid-Kartell

AEUV Art. 101 Abs. 1, Art. 267 Abs. 1 und 3; Verordnung (EG) Nr. 1/2003 Art. 23

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-lung vom 30. April 2013 durch die Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und Prof. Dr. Meier-Beck sowie die Richter Dr. Kirchhoff, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV folgende die Auslegung des Unionsrechts be-treffenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Muss die Kommission in einer Entscheidung, mit der sie wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV eine Geldbuße gegen mehrere natürliche oder juristische Personen als Gesamt-schuldner verhängt, auch eine abschließende Regelung zu der Frage treffen, in welchem Verhältnis die Geldbuße intern auf die einzelnen Gesamtschuldner aufzuteilen ist?
2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
a) Ist eine Entscheidung der Kommission, die keine ausdrückli-che Anordnung zur Verteilung im Innenverhältnis enthält, da-hin auszulegen, dass die Geldbuße intern von allen Gesamt-schuldnern zu gleichen Teilen zu tragen ist?
b) Für den Fall, dass Frage 2 a zu verneinen ist:
Kann die Entscheidungslücke, die entsteht, wenn die Kom-mission die Verteilung der Geldbuße im Innenverhältnis nicht regelt, durch die Gerichte der Mitgliedstaaten geschlossen werden, ohne dass es einer ergänzenden Entscheidung der Kommission bedarf?
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3. Für den Fall, dass Frage 1 zu verneinen oder Frage 2 b zu be-jahen ist:
Enthält das Unionsrecht Vorgaben zu der Frage, wie die Geld-buße im Innenverhältnis auf die Gesamtschuldner zu verteilen ist?
4. Für den Fall, dass Frage 1 oder Frage 3 zu bejahen ist:
Kann ein Gesamtschuldner, der die Geldbuße ganz oder teil-weise gezahlt hat, Ausgleichsansprüche gegen die anderen Gesamtschuldner schon geltend machen, bevor eine rechts-kräftige Entscheidung über ein gegen die Festsetzung der Geldbuße eingelegtes Rechtsmittel ergangen ist?
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von den beiden Beklagten internen Ausgleich nach Zahlung einer Geldbuße, die die Europäische Kommission gegen alle drei Par-teien als Gesamtschuldner verhängt hat.
Die Klägerin war alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 2, die da-mals unter Arques Beteiligungsgesellschaft mbH firmierte. Mit Kaufvertrag vom 30. August 2004 erwarb die Beklagte zu 2 sämtliche Geschäftsanteile an der Beklagten zu 1, die damals unter SKW Stahl-Technik Verwaltungs-GmbH fir-mierte, sowie sämtliche Kommanditanteile an der SKW Stahl-Technik GmbH & Co. KG (nachfolgend: Kommanditgesellschaft), deren alleinige Komplementärin die Beklagte zu 1 war. Zum 31. Dezember 2004 trat die Beklagte zu 2 aus der Kommanditgesellschaft aus. Deren Vermögen ging dadurch ohne Liquidation auf die Beklagte zu 1 über.
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Zum 25. Mai 2006 wurde die Beklagte zu 2 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Klägerin veräußerte in der Folgezeit ihre Anteile. Am 30. No-vember 2006 hielt sie noch eine Beteiligung von 57%, zum 22. Juli 2007 schied sie vollständig aus.
Seit dem 22. April 2004 nahmen Beschäftigte der Beklagten zu 1 und der Kommanditgesellschaft an Kartellabsprachen zum Vertrieb von Calciumcarbid und seit dem 14. Juli 2005 an Absprachen zum Vertrieb von Magnesiumgranu-lat teil.
Mit Entscheidung vom 22. Juli 2009 verhängte die Europäische Kommis-sion (COMP/39.396, K(2009) 5791 endg – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und die Gasindustrien) gegen die Klägerin und die Beklagten als Gesamtschuldner eine Geldbuße in Höhe von 13,3 Millionen Euro wegen einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens. Als Tatzeitraum stellte sie für die Be-klagte zu 1 die Zeit von 22. April 2004 bis 16. Januar 2007 und für die Klägerin sowie die Beklagte zu 2 die Zeit von 30. August 2004 bis 16. Januar 2007 fest. Über die gegen diese Entscheidungen erhobenen Nichtigkeitsklagen der Kläge-rin (T-395/09, ABl. C 297 vom 5. Dezember 2009, S. 27 f.) und der Beklagten (T-384/09, ebenda S. 23 f.) hat das Gericht der Europäischen Union noch nicht entschieden.
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Die Klägerin zahlte auf die Geldbuße und angefallene Zinsen insgesamt 6.798.012,49 Euro. Die Beklagten stellten der Kommission Bankgarantien in Höhe von insgesamt 6,7 Millionen Euro.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin – soweit noch von Be-deutung – von den Beklagten als Gesamtschuldner die vollständige Erstattung des von ihr gezahlten Betrags nebst Verzugszinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner weiter. Hilfsweise bean-tragt sie, die Beklagten jeweils zur Zahlung eines Drittels der Klagesumme zu verurteilen.
II.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Innenausgleich der Geldbuße unterliege – aufgrund konkludenter Rechtswahl und im Übrigen wegen Erwägungsgrund 30 zur Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – deutschem Recht. Danach sei die Klage unabhängig vom Ausgang der Nichtigkeitsklagen unbegründet, weil die Klägerin verpflichtet sei, die Geld-buße im Innenverhältnis allein zu tragen. Die Grundregel des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu gleichen Teilen verpflichtet seien, komme in der hier zu beurteilenden Konstellation nicht zum Tragen. Es entspreche vielmehr der Billigkeit, denjenigen Gesamtschuldner zu belasten, dem die wirtschaftlichen Erfolge aus dem kartellrechtswidrigen Ver-halten zugeflossen seien. Dies sei hier die Klägerin. Etwaige Erlöse aus dem kartellrechtswidrigen Verhalten seien entweder an sie ausgeschüttet worden oder hätten den Wert ihrer Geschäftsanteile beeinflusst. Ob das Kartell tatsäch-lich eine Rendite erzielt habe, sei unerheblich. Auf Verursachungs- oder Ver-
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schuldensbeiträge komme es nicht an. Schadensersatzansprüche der Klägerin bestünden nicht, weil die Belastung mit der Geldbuße kein vom Schutzbereich der kartellrechtlichen Anspruchsgrundlagen erfasster Schaden sei und dem Vorbringen der Klägerin auch keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zu entnehmen sei.
III.
Vor einer Entscheidung über die Revision der Klägerin ist das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
Für den Erfolg der Revision ist maßgebend, ob der Klägerin Ausgleichs-ansprüche gegen die Beklagten zustehen. Dies hängt davon ab, ob die Ent-scheidung über Grund und Höhe solcher Ausgleichsansprüche bei der Kom-mission liegt und wie zu verfahren ist, wenn die Kommission es versäumt hat, eine solche Entscheidung zu treffen. Diese Fragen sind durch die Rechtspre-chung des Gerichtshofs nicht geklärt. Ihre Beantwortung ist auch nicht offen-kundig.
1. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist geklärt, dass die Kom-mission bei einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV eine Geldbuße gegen mehre-re natürliche oder juristische Personen als Gesamtschuldner verhängen darf, wenn diese als ein Unternehmen anzusehen sind.
a) Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Dies gilt auch dann, wenn sie rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristi-
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schen Personen gebildet wird. Verstößt eine solche wirtschaftliche Einheit ge-gen die Wettbewerbsregeln, hat sie nach dem Grundsatz der persönlichen Ver-antwortlichkeit für die Zuwiderhandlung einzustehen. Da Geldbußen aber nur gegen einen Rechtsträger festgesetzt werden können, muss die Zuwiderhand-lung eindeutig einer (juristischen) Person zugerechnet werden (EuGH, Urteil vom 10. September 2009 – C-97/08 P, Slg. 2009, I-8237 Rn. 57 = WuW/E EU-R 1639 – Akzo Nobel).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist einer Muttergesellschaft das Verhalten einer unmittelbaren oder mittelbaren (dazu EuGH, Urteil vom 20. Januar 2011 – C-90/09 P, WuW/E EU-R 1899 Rn. 86 ff. – General Química) Tochtergesellschaft zuzurechnen, wenn diese trotz eigener Rechtspersönlich-keit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Wei-sungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaft-lichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssub-jekte verbinden. Eine persönliche Beteiligung von Organen oder Mitarbeitern der Muttergesellschaft an der Zuwiderhandlung muss dafür nicht nachgewiesen werden. Denn in einem solchen Fall sind Mutter- und Tochtergesellschaft Teil derselben wirtschaftlichen Einheit und bilden deshalb ein Unternehmen im obengenannten Sinn (EuGH, Slg. 2009, I-8237 Rn. 58 f. – Akzo Nobel). Hält ei-ne Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft, streitet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine widerlegliche Vermutung da-für, dass sie tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt (EuGH, Slg. 2009, I-8237 Rn. 60 – Akzo Nobel; WuW/E EU-R 1899 Rn. 39 f., 50 ff. – General Química).
Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen kann die Kommission die Haftung für die Zahlung der gegen die Tochteruntergesellschaft verhängten Geldbuße der Muttergesellschaft als Gesamtschuldnerin zuweisen (EuGH, Slg. 2009, I8237 Rn. 61 – Akzo Nobel). Darin liegt nach der Rechtsprechung des Gerichts-hofs keine verschuldensunabhängige, sondern eine auf dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit der wirtschaftlichen Einheit beruhende Haftung
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der Obergesellschaft (EuGH ebenda Rn. 77; Urteil vom 19. Juli 2012 C-628/10 P, WuW/E EUR 2532 Rn. 42 ff. – Alliance One; zustimmend Köhler, WRP 2011, 277, 282; kritisch de Bronett, EWS 2012, 113 ff.; Kling, WRP 2010, 506, 510).
b) Im Ausgangsfall hat die Kommission in Anwendung dieser Grundsät-ze gegen die Parteien als Gesamtschuldner eine Geldbuße verhängt. Die Haf-tung der Beklagten zu 2 hat sie auf den Umstand gestützt, dass diese im Tat-zeitraum sämtliche Anteile an der Beklagten zu 1 gehalten hat. Die Haftung der Klägerin hat sie hinsichtlich des Zeitraums bis 30. November 2006 auf deren durch die Beklagte zu 2 vermittelte Alleininhaberschaft an der Beklagten zu 1 gestützt und für die Zeit danach auf Tatsachen, die ihrer Ansicht nach die Aus-übung eines entscheidenden Einflusses aufgrund der verbliebenen Mehrheits-beteiligung belegen (Entscheidung der Kommission vom 22. Juli 2009 Rn. 226 f., 245 ff., 251 ff.; vgl. aber auch Rn. 250, 262). Die Wirkung dieser Entscheidung ist durch die dagegen erhobenen Nichtigkeitsklagen nicht aufge-schoben (Art. 278 Satz 1 AEUV, ex-Art. 242 EG; vgl. Hirsch, ZWeR 2003, 233, 248).
2. Nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Kommission dazu berechtigt und verpflichtet ist, die interne Verteilung der Geldbuße auf die Ge-samtschuldner zu regeln.
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union löst eine Entscheidung, mit der die Kommission eine Geldbuße gegen mehrere Ge-sellschaften als Gesamtschuldner verhängt, sämtliche Wirkungen aus, die von Rechts wegen an die rechtliche Regelung der Zahlung von Geldbußen im Wett-bewerbsrecht anknüpfen, und dies sowohl in den Beziehungen zwischen Gläu-biger und Gesamtschuldnern als auch in den Beziehungen zwischen den Ge-samtschuldnern untereinander (EuG, Urteile vom 3. März 2011 – T-117/07, Slg. 2011, II-633 Rn. 214 – Areva und T-122/07, Slg. 2011, II-793 Rn. 156 = WuW/E EU-R 1939 – Siemens Österreich).
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Nach Auffassung dieses Gerichts können die Gesellschaften nicht frei darüber bestimmen, wie sie die Geldbuße untereinander aufteilen (EuG, Slg. 2011, II-633 Rn. 214 – Areva). Die Aufteilung könne auch nicht den nationalen Gerichten überlassen werden (EuG, Slg. 2011, II-793 Rn. 156 f. – Siemens Ös-terreich). Vielmehr sei allein die Kommission zur Entscheidung befugt. Eine Ge-sellschaft, die den gesamten Betrag der Geldbuße entrichtet habe, könne schon auf der Grundlage der Entscheidung der Kommission gegenüber den anderen Gesamtschuldnern Erstattung verlangen, und zwar gegen jeden in Höhe des von der Kommission bestimmten Anteils. Es sei davon auszugehen, dass die Kommission in Ermangelung einer gegenteiligen Angabe in der Entscheidung die Zuwiderhandlung, die zur Verhängung der Geldbuße geführt habe, allen Gesellschaften zu gleichen Teilen zurechne (EuG, Slg. 2011, II-633 Rn. 215 Areva; Slg. 2011, II-793 Rn. 158 – Siemens Österreich).
b) Wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Europäischen Union zuträfe, wäre im vorliegenden Verfahren die Revision hinsichtlich des auf voll-ständigen Ersatz der geleisteten Zahlung gerichteten Hauptantrags unbegrün-det. Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf anteiligen Ausgleich wäre hinsichtlich desjenigen Teilbetrages begründet, der den von der Klägerin zu tra-genden Anteil von einem Drittel übersteigt. Insoweit würde sich zusätzlich die Frage stellen, ob dieser Ausgleichsanspruch schon geltend gemacht werden kann, bevor die Entscheidung der Kommission bestandskräftig ist.
aa) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Revision auch insoweit zulässig, als die Klägerin hilfsweise begehrt, jede Beklagte zur Erstattung eines Teils der erbrachten Bußgeldzahlung zu verurteilen. Zwar ist eine Klageänderung in der Revisionsinstanz wegen der in § 559 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Beschränkung des Streitstoffs grundsätzlich unzulässig. Eine Beschränkung des Klageantrags (§ 264 Nr. 2 ZPO) ist aber zulässig, wenn sie sich auf einen Sachverhalt stützt, der vom Tatrichter bereits gewürdigt worden ist (BGH, Urteil vom 18. Juni 1998 – IX ZR 311/95, NJW 1998, 2969, 2970). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin stützt den hilfsweise gel-
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tend gemachten Anspruch nicht auf einen neuen Sachverhalt, sondern auf die vom Gericht der Europäischen Union vertretene Rechtsauffassung. Ihr Begeh-ren, die Beklagten zu einer anteiligen Erstattung der erbrachten Zahlung zu verurteilen, ist damit im Verhältnis zu dem in erster Linie geltend gemachten Begehren nach vollständiger Erstattung kein Aliud, sondern ein schon vom ur-sprünglichen Antrag umfasstes Minus. Dass der rechtliche Gesichtspunkt, auf den der Anspruch auf anteilige Erstattung gestützt wird, im Berufungsverfahren nicht näher erörtert wurde, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.
bb) Die Beantwortung der unionsrechtlichen Fragen kann auch nicht we-gen einer Rechtswahlvereinbarung der Parteien offenbleiben. Das Berufungs-gericht hat ausgeführt, der Innenausgleich unterliege dem (einzelstaatlichen) deutschen Recht, weil sich die Parteien im Rechtsstreit darauf berufen und da-mit ihren Willen zum Ausdruck gebracht hätten, das streitige Rechtsverhältnis dieser Rechtsordnung zu unterwerfen. Diese Begründung vermag die Nichtan-wendung von Unionsrecht nicht zu tragen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die revisionsrechtlich nur eingeschränkt nachprüfbare (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – I ZR 12/06, NJW 2009, 1205 Rn. 18 f. mwN) Beurteilung des Berufungsgerichts, die Parteien hätten sich im Laufe des Rechtsstreits kon-kludent auf die Anwendbarkeit des deutschen Rechts geeinigt, frei von Rechts-fehlern ist. Selbst wenn die Parteien eine solche Rechtswahlvereinbarung ge-troffen hätten, wäre lediglich die Anwendung ausländischen Rechts ausge-schlossen, nicht aber die Anwendung des Unionsrechts, das in allen Mitglied-staaten unmittelbar geltendes Recht ist (vgl. Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettes-heim, EU-Recht, Stand August 2012, AEUV Art. 288 Rn. 101).
cc) Die Klageforderung kann auch nicht auf einen von der Ausgleichs-pflicht im Innenverhältnis unabhängigen Anspruch der Klägerin auf Schadens-ersatz gestützt werden.
(1) Kartellrechtliche Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagten scheiden schon deshalb aus, weil das Kartellverbot nicht dem Zweck
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dient, einzelne Organisationseinheiten eines Unternehmens, das gegen Art. 101 AEUV verstößt, vor der Belastung mit einer Geldbuße zu schützen. Ansprüche dieser Art sind zur effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln der Union (dazu EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 – C-295/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 60, 91 ff. = WuW/E EU-R 1107 – Manfredi; Urteil vom 20. September 2001 C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 25 ff. = WuW/E EU-R 479 – Courage; BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 34, 37, 61 f. – ORWI) weder notwendig noch förderlich.
Sofern die Verteilung der Geldbuße im Innenverhältnis durch das Uni-onsrecht abschließend geregelt sein sollte, käme die Anwendung einzelstaatli-cher Vorschriften, die aufgrund von Schadensersatzansprüchen zu einer ab-weichenden Verteilung führen, ohnehin nicht in Betracht. Sofern das Unionsrecht keine abschließenden Regelungen enthält, kann einer effektiven Durchsetzung der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln bei Anwendbarkeit deutschen Rechts schon durch § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB Rech-nung getragen werden. Die genannte Vorschrift sieht grundsätzlich eine Auftei-lung nach Köpfen vor. Sie gebietet aber eine davon abweichende Verteilung, soweit etwas anderes bestimmt ist. Eine andere Bestimmung in diesem Sinne kann sich aus einer Vereinbarung der Beteiligten, aus sonstigen zwischen ihnen bestehenden Rechtsbeziehungen, aus besonderen gesetzlichen Regeln oder aus den Umständen des Einzelfalles ergeben. Insbesondere ist auch der Rechtsgedanke des § 254 Abs. 1 BGB heranzuziehen, wonach sich die Auftei-lung danach richtet, inwieweit die einzelnen Gesamtschuldner zur Verursa-chung der für die Haftung maßgeblichen Umstände beigetragen haben und in welchem Maße sie ein Verschulden trifft (vgl. nur BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – VI ZR 286/09, NJW 2011, 292 Rn. 9; Beschluss vom 9. Juni 2008 II ZR 268/07, NJW-RR 2009, 49 Rn. 2; Urteil vom 9. März 1965 VI ZR 218/63, BGHZ 43, 178, 187). Diese Regelung ermöglicht es, eine gegen mehrere Gesellschaften als Gesamtschuldner verhängte Geldbuße sachgerecht auf die einzelnen Schuldner zu verteilen. Ein ergänzender kartellrechtlicher
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Schadensersatzanspruch eines Gesamtschuldners ist angesichts dessen zur Durchsetzung des Unionsrechts nicht erforderlich. Unabhängig davon könnte der Schuldner auch einem solchen Anspruch gemäß § 254 BGB den Einwand der Mitverursachung entgegenhalten, so dass sich jedenfalls unter diesem As-pekt keine andere Aufteilung ergäbe als bei Anwendung des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB.
(2) Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus § 826 BGB sind für das Rechtsverhältnis zur Beklagten zu 1 schon deshalb nicht entschei-dungserheblich, weil sie nur gegen die Beklagte zu 2 gerichtet sind.
Unabhängig davon wäre auch ein solcher Anspruch ausgeschlossen, so-fern das Unionsrecht die interne Verteilung der Geldbuße auf die Gesamt-schuldner abschließend regeln würde. Sofern das Unionsrecht Raum für die Anwendung einzelstaatlicher Vorschriften lässt, könnte ein Anspruch aus § 826 BGB jedenfalls insoweit nicht zu einer abweichenden Verteilung führen, als die Umstände, die einem Ausgleichsanspruch der Klägerin nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegenstehen, auch dem Ersatzanspruch aus § 826 BGB entge-gengehalten werden können. Dies gilt insbesondere für den bereits erwähnten Einwand der Mitverursachung (§ 254 Abs. 1 BGB).
c) Die danach entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht hinrei-chend geklärt. Gegen die oben dargestellte Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union sind Bedenken erhoben worden, die nach Einschätzung des Senats nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sind.
aa) Die Kommission hat das Urteil in der Sache Siemens Österreich an-gefochten (C-231/11 P). Sie macht geltend, ihre Befugnisse beträfen allein das Außenverhältnis, also die Verhängung von Geldbußen und gegebenenfalls die Bestimmung der gesamtschuldnerischen Haftung der Adressaten. Insoweit sei-en auch den Befugnissen der Unionsgerichte Grenzen gesetzt. Das aus der
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Festsetzung gesamtschuldnerischer Haftung resultierende Innenverhältnis der Gesamtschuldner einschließlich möglicher Regressansprüche unterliege dem Recht der Mitgliedstaaten (ABl. C 204 vom 9. Juli 2011, S. 17; ebenso Schluss-anträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 26. September 2002 – C-196/99 P, Slg. 2003, I-11005 Rn. 118 Fn. 21 – Aristrain).
bb) In der deutschen Literatur und in Entscheidungen deutscher Instanz-gerichte wird die Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union unter-schiedlich beurteilt. Einige Autoren sehen die gesamtschuldnerische Haftung als genuin unionsrechtliches autonomes Rechtsinstitut an. Dies ergebe sich da-raus, dass diese Haftung aus dem Unternehmensbegriff des Art. 101 AEUV hergeleitet werde (Bueren, ZWeR 2011, 285, 302 f.; Kellerbauer/Weber, EuZW 2011, 666, 669; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 681 f.). Ferner spreche der Grundsatz der Rechtssicherheit dafür, dass die Kommission auch für das In-nenverhältnis eine Regelung treffe. Nach einer abweichenden Auffassung soll sich der interne Ausgleich unter den Gesamtschuldnern nach nationalem Recht richten (Köhler, WRP 2011, 277, 279; LG München I, WUW/E DE-R 3247, 3254) oder jedenfalls nicht der Entscheidung durch die Kommission unterliegen (Thomas, JZ 2011, 485, 494).
cc) Vor diesem Hintergrund bedarf es einer Klärung der aufgeworfenen Frage durch den Gerichtshof.
d) Allerdings dürfte nicht zu bezweifeln sein, dass der Union die Kom-petenz zusteht, abschließende Regelungen zur internen Verteilung einer gegen mehrere Personen als Gesamtschuldner verhängten Geldbuße zu treffen.
Gemäß Art. 103 Abs. 1 AEUV können zweckdienliche Verordnungen oder Richtlinien zur Verwirklichung der in Art. 101 und 102 AEUV niedergeleg-ten Grundsätze geschaffen werden. Dazu zählen gemäß Art. 103 Abs. 2 Buchst. a AEUV insbesondere Vorschriften, welche die Beachtung der darin genannten Verbote durch die Möglichkeit der Verhängung von Geldbußen und
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Zwangsgeldern zu gewährleisten bezwecken. Die Verhängung von Geldbußen bezweckt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs insbesondere, unerlaubte Verhaltensweisen zu ahnden und künftigen Zuwiderhandlungen durch Abschre-ckung vorzubeugen (EuGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – C-413/08 P, Slg. 2010, I5406 Rn. 102 – Lafarge; Urteil vom 7. Juli 2007 – C-76/06 P, Slg. 2007, I-4443 Rn. 22 – Britannia Alloys & Chemicals). Diese Ziele können dadurch gefördert werden, dass die Kommission den einzelnen Gesamtschuldnern der Geldbuße bestimmte Haftungsanteile verbindlich zuweist und damit sicherstellt, dass die Geldbuße für jeden Gesamtschuldner eine wirksame und bleibende Sanktion darstellt.
e) Nicht hinreichend geklärt erscheint indes, ob die auf der Grundlage von Art. 83 EG (nunmehr Art. 103 AEUV) erlassene Verordnung (EG) Nr. 1/2003 eine solche Entscheidungskompetenz der Kommission vorsieht.
aa) Entgegen der Einschätzung des Berufungsgerichts kann allerdings nicht schon aus Erwägungsgrund 30 der Verordnung die sichere Schlussfolge-rung gezogen werden, dass die Auffassung des Gerichts der Europäischen Union unzutreffend ist. Nach diesem Erwägungsgrund erfolgt die Zahlung der Geldbuße durch eines oder mehrere Mitglieder einer Vereinigung unbeschadet der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, die einen Rückgriff auf andere Mitglie-der der Vereinigung zur Erstattung des gezahlten Betrages ermöglichen. Dies betrifft indes lediglich Geldbußen, die gegen Unternehmensvereinigungen ver-hängt werden, und die für diesen Fall in Art. 23 Abs. 4 der Verordnung vorge-sehene Ausfallhaftung. Zwar spricht einiges dafür, dass der in Erwägungsgrund 30 zum Ausdruck gekommene Regelungsgedanke auch auf die hier zu beurtei-lende Konstellation der Verhängung einer Geldbuße gegen mehrere Gesell-schaften als Gesamtschuldner übertragbar ist. Angesichts des Umstandes, dass der Gerichtshof die gesamtschuldnerische Haftung aus dem autonomen Unternehmensbegriff des Art. 101 AEUV hergeleitet hat, ist indes nicht auszu-schließen, dass auch der interne Ausgleich zwischen den Gesamtschuldnern ausschließlich dem Unionsrecht unterliegt und dass die in Art. 23 Abs. 2 der
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Verordnung vorgesehene Befugnis zur Verhängung von Geldbußen auch eine Ermächtigung und Verpflichtung zur Regelung des Innenverhältnisses umfasst.
bb) Gegen die Auffassung des Gerichts der Europäischen Union könnte sprechen, dass es für die Kommission in der Regel mit höherem Ermittlungs-aufwand verbunden sein dürfte, wenn sie auch die Verteilung der Geldbuße im Innenverhältnis abschließend regeln müsste.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs führt die Verhängung einer Geldbuße gegen mehrere Gesellschaften als Gesamtschuldner zu einer Verrin-gerung des Ermittlungsaufwandes für die Kommission. Diese braucht eine per-sönliche Beteiligung von Vertretern der Muttergesellschaft an der Zuwiderhand-lung nicht nachzuweisen. Vielmehr genügt der Nachweis, dass die Mutterge-sellschaft das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft hält (EuGH – Akzo Nobel Rn. 59 f.; General Química Rn. 39 f.). Die Kommission ist zudem nicht verpflich-tet, vorrangig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Zurechnung der Zu-widerhandlung zur Muttergesellschaft erfüllt sind, weil ansonsten die Ermittlun-gen der Kommission erheblich erschwert würden (EuGH, Urteil vom 24. Sep-tember 2009 – C-125/07 P, Slg. 2009, I-8681 Rn. 82 = WuW/E EU-R 1633 – Ers-te Group Bank; anderer Auffassung wohl Generalanwältin Stix-Hackl – Aristrain Rn. 114 ff.).
Dieser Zielsetzung könnte es zuwiderlaufen, wenn die Kommission die Umstände ermitteln müsste, die für die Verteilung der verhängten Geldbuße im Innenverhältnis maßgeblich sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Vertei-lung im Innenverhältnis davon abhängen sollte, inwieweit die einzelnen Gesell-schaften zur Verursachung der für die Haftung maßgeblichen Umstände beige-tragen haben und inwieweit ihnen ein Verschulden zur Last fällt. Dann hätte die Kommission im Ergebnis diejenigen Ermittlungen durchzuführen, von denen sie bei Verhängung einer Geldbuße gegen Gesamtschuldner gerade entlastet sein soll.
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Wenn solche Ermittlungen allein zum Zwecke der Verteilung der Geld-buße im Innenverhältnis vorzunehmen wären, könnte der dafür erforderliche Aufwand zudem schon deshalb als nicht gerechtfertigt anzusehen sein, weil die wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Aufteilung in den meisten Fällen gering sein dürften. Die als Gesamtschuldner haftenden Unternehmen gehören in der Regel einem einheitlichen Konzern an. Selbst wenn ihnen, wie das Ge-richt der Europäischen Union meint, Vereinbarungen über eine Erstattung von Bußgeldzahlungen verwehrt sind, dürften ihnen andere konzerninterne Instru-mente zur Verfügung stehen, die es ermöglichen, die aus der Geldbuße resul-tierende wirtschaftliche Belastung innerhalb des Konzerns nach ihren Vorstel-lungen zu verteilen. Zu Rechtsstreitigkeiten über die interne Aufteilung dürfte es nur in Ausnahmefällen kommen, etwa dann, wenn der Konzernverbund nach der Zuwiderhandlung und vor deren Ahndung aufgelöst wurde, wie dies im hier zu beurteilenden Fall geschehen ist.
f) Ebenfalls nicht hinreichend geklärt erscheint die Frage, welche Wir-kung einer Entscheidung der Kommission zukommt, die keine ausdrückliche Regelung dazu enthält, wie die Geldbuße auf die einzelnen Gesamtschuldner zu verteilen ist.
aa) Die bereits aufgezeigte Rechtsprechung des Gerichts der Europäi-schen Union, mangels einer abweichenden Angabe sei davon auszugehen, dass die Kommission die verhängte Geldbuße den einzelnen Gesamtschuld-nern zu gleichen Teilen zurechne, ist ebenfalls auf Kritik gestoßen. In der deut-schen Literatur wird insbesondere eingewendet, aus einem bloßen Schweigen der Kommission könne nicht gefolgert werden, dass sie die Zahlungspflichten der betroffenen Gesellschaften auch im Innenverhältnis habe regeln wollen. Ei-ne interne Verteilung nach Köpfen könne zudem im Einzelfall sachwidrig, in be-stimmten Fällen sogar rechtswidrig sein (Bueren, ZWeR 2011, 285, 304, 310; Mäsch, GRUR-Prax 2012, 268; ähnlich Thomas, JZ 2011, 485, 494). In ähnli-chem Sinne hat sich die Kommission geäußert (EuG, Slg. 2011, II-633 Rn. 42 –
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Areva; Rechtsmittel C-231/11 P, ABl. C 204 vom 9. Juli 2011, S. 17 f. – Siemens Österreich).
bb) Nach Auffassung des Senats ist nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union zumindest in diesem Punkt einer Überprüfung durch den Gerichtshof nicht standhalten wird. Wenn die Kommission in einer Entscheidung nicht zu allen regelungsbedürftigen Fra-gen Stellung genommen hat, kann nach Auffassung des Senats nicht ohne wei-teres unterstellt werden, sie habe dennoch eine bestimmte Regelung treffen wollen. Eine nach dem Wortlaut der Entscheidung verbleibende Regelungslü-cke mag im Einzelfall geschlossen werden können, indem aus dem Zusam-menhang der Entscheidungsgründe oder aus sonstigen Umständen eine kon-kludente Regelung abgeleitet wird. Dies setzt aber voraus, dass ein entspre-chender Regelungswille der Kommission feststellbar ist. Daran dürfte es im vor-liegenden Zusammenhang schon deshalb fehlen, weil die Kommission sich nicht für verpflichtet hält, die Verteilung von Geldbußen im Innenverhältnis zu regeln. Angesichts dessen spricht vieles dafür, dass eine Entscheidung der Kommission, die die Frage der internen Verteilung nicht regelt, obwohl diese der Regelung bedarf, als lückenhaft und damit als ergänzungsbedürftig anzu-sehen ist (ähnlich Bueren, ZWeR 2011, 285, 304).
g) Sollte der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen, dass eine Ent-scheidung der Kommission, die keine Regelung zur internen Verteilung der Geldbuße enthält, lückenhaft ist, stellt sich die weitere Frage, ob die Gerichte der Mitgliedstaaten befugt sind, diese Lücke ohne ergänzende Entscheidung der Kommission zu schließen.
Wenn eine Entscheidung der Kommission nicht zu allen regelungsbe-dürftigen Fragen eine Regelung enthält, erscheint es naheliegend, sie als rechtswidrig anzusehen. Dies hätte zur Folge, dass die Entscheidung jedenfalls auf das Rechtsmittel eines Betroffenen hin zu ergänzen wäre – sei es durch die Kommission, sei es durch das zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufe-
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ne Unionsgericht. Andererseits erscheint es nicht ausgeschlossen, dass eine lückenhafte Entscheidung der Kommission Bestandskraft erlangt, ohne dass die Lücke geschlossen worden ist. Zumindest für solche Fälle könnte in Betracht kommen, dass das Gericht eines Mitgliedstaats die Entscheidung über die Ver-teilung der Geldbuße im Innenverhältnis nachholt, wenn es mit einem Rechts-streit über interne Ausgleichsansprüche befasst wird. Dies wiederum könnte die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten auch in anderen Konstellationen über die interne Verteilung der Geldbuße zu entschei-den haben, wenn und solange eine Entscheidung der Kommission hierzu nicht ergangen ist.
h) Falls die Gerichte der Mitgliedstaaten die Verteilung der Geldbuße auf die Gesamtschuldner in eigener Zuständigkeit zu beurteilen haben, stellt sich die Frage, ob das Unionsrecht hierzu inhaltliche Vorgaben enthält.
Für die Beantwortung dieser Frage dürften im Wesentlichen die bereits im Zusammenhang mit Frage 1 aufgezeigten Gesichtspunkte von Bedeutung sein. Nach Einschätzung des Senats erscheint es jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Gerichtshof einerseits zu dem Ergebnis gelangt, die Kommission dürfe die Verteilung der Geldbuße im Innenverhältnis den Gerichten der Mitgliedstaa-ten überlassen, andererseits aber die Auffassung vertreten wird, die materiellen Regeln oder zumindest die grundlegenden Leitlinien für die Verteilung seien dem Unionsrecht zu entnehmen. Dann würde sich für den Senat die Frage stel-len, nach welchen Kriterien er die Verteilung der Geldbuße im Innenverhältnis vorzunehmen hat. Mangels einer ausdrücklichen Bestimmung in der Verord-nung (EG) Nr. 1/2003 müsste er hierzu auf allgemeine Rechtsgrundsätze zu-rückgreifen. Diese bedürften näherer Klärung.
aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze könnten möglicherweise unmittelbar aus dem Unionsrecht abgeleitet werden. Maßgebliche Bedeutung könnte dabei vor allem dem Grundsatz der schuldangemessenen Sanktionierung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zukommen (dazu Dannecker/Biermann in
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Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., VO (EG) 1/2003, Art. 23 Rn. 138 mit weiteren Nachweisen).
Die Haftung des Unternehmens beruht auf dessen persönlicher Verant-wortlichkeit und setzt nach Art. 23 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus. Bei der Bemessung der Geldbuße sind gemäß Art. 23 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen. Dabei sind insbesondere Umstände zu würdi-gen, welche die Schuld mindern oder erschweren (dazu insgesamt EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – C-389/10 P, WuW/E EU-R 2213 Rn. 58 ff., 122 ff. KME; Nowak in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., VO 1/2003/EG, Art. 23 Rn. 36 mit weiteren Nachweisen).
Diese Grundsätze dürften auch die Ausgestaltung des internen Verhält-nisses zwischen den eine wirtschaftliche Einheit bildenden Gesamtschuldnern prägen. Dem dürfte entgegen der vom Bundeskartellamt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung nicht entgegenstehen, dass die Kommission diese Kriterien bei der Auswahl der einzelnen Gesamt-schuldner nicht heranzieht. Wie bereits oben in Randnummer 38 f. dargelegt wurde, wird die Kommission durch die Möglichkeit, eine Geldbuße gegen meh-rere Personen als Gesamtschuldner zu verhängen, davon entlastet, die Verur-sachungsbeiträge einzelner Beteiligter innerhalb eines Unternehmens im Ein-zelnen zu ermitteln. Diese Zielsetzung wird nicht in Frage gestellt, wenn die einzelnen Verursachungsbeiträge in einem nachfolgenden Rechtsstreit zwi-schen den einzelnen Gesamtschuldnern vom Gericht eines Mitgliedstaats ermit-telt werden, um die interne Verteilung der Geldbuße festzulegen. Es gehört ge-rade zu den typischen Wirkungen einer gesamtschuldnerischen Haftung, dass der Gläubiger davon enthoben ist, sich mit Umständen zu befassen, die nur für die interne Verteilung von Bedeutung sind. Dies hat in der Regel aber nicht zur Folge, dass diese Umstände auch in einem Rechtsstreit zwischen den einzel-nen Gesamtschuldnern unberücksichtigt bleiben dürfen oder müssen.
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bb) Allgemeine Rechtsgrundsätze dieses Inhalts können möglicherweise auch aus Regelungen hergeleitet werden, die allen Rechtsordnungen der Mit-gliedsstaaten gemeinsam sind (vgl. dazu etwa EuGH, Urteil vom 14. September 2010 – C-550/07 P, Slg. 2010, I-8301 Rn. 69, 76 – Akzo Nobel; Urteil vom 18. Mai 1982 – C-155/79, Slg. 1982, 1575 Rn. 18 ff. – AM & S Europe).
Jedenfalls einige dem Senat zugängliche Rechtsordnungen sehen vor, dass sich die Verteilung einer gesetzlich oder sonst hoheitlich begründeten ge-samtschuldnerischen Verbindlichkeit im Innenverhältnis regelmäßig insbeson-dere danach richtet, inwieweit die einzelnen Gesamtschuldner zur Verursa-chung der für die Haftung maßgeblichen Umstände beigetragen haben und in welchem Maße sie hierbei ein Verschulden trifft (vgl. zum deutschen Recht die oben in Rn. 26 zitierten Entscheidungen; zum französischen Recht Bentele, Gesamtschuld und Erlass, S. 85 mit weiteren Nachweisen; zum spanischen Recht v. Bar/Santdiumenge, Deliktsrecht in Europa, Spanien, S. 34; zum engli-schen Recht Sec. 2 (1) Civil Liability (Contribution) Act 1978).
cc) Nicht ausgeschlossen erscheint es, die oben aufgezeigten Rechts-grundsätze dahin zu verallgemeinern, dass die interne Verteilung der Geldbuße aufgrund einer Gesamtabwägung vorzunehmen ist, bei der insbesondere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Beteiligung der einzelnen Gesamtschuld-ner am wirtschaftlichen Erfolg der Zuwiderhandlung, ihre individuellen Verursa-chungsbeiträge und ihre individuellen Verschuldensanteile (vgl. Bueren, ZWeR 2011, 285, 303, 310; anderer Auffassung Köhler, WRP 2011, 277, 280 ff.), aber auch sonstige im Einzelfall relevante Umstände Berücksichtigung finden müs-sen. Insbesondere könnte der von einem Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu tragende Anteil in entsprechender Anwendung von Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 und Abs. 4 Unterabs. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 durch die dort vorge-sehene umsatzbezogene Obergrenze beschränkt sein (siehe auch EuG, Urteil vom 15. Juni 2005 – T-71/03 Rn. 390 – Tokai Carbon).
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i) Sofern das Unionsrecht Regelungen für die Verteilung der Geldbuße auf die einzelnen Gesamtschuldner enthält, stellt sich ferner die Frage, ob ein Gesamtschuldner, der die Geldbuße ganz oder teilweise zahlt, Ausgleichs-ansprüche gegen die anderen Gesamtschuldner schon geltend machen kann, bevor die Entscheidung der Kommission bestandskräftig geworden ist.
aa) In der deutschen Literatur wird die Ansicht vertreten, einem Aus-gleichsverlangen in diesem Stadium stehe der Einwand des Rechtsmiss-brauchs entgegen. Der Ausgleichsberechtigte handle missbräuchlich, wenn er einerseits mit einer Nichtigkeitsklage geltend mache, er sei zur Zahlung einer Geldbuße nicht verpflichtet, andererseits aber Zahlungsansprüche gegen die anderen Gesamtschuldner erhebe und diesen damit das Risiko seiner Insol-venz aufbürde. Ein Gesamtschuldner, der mehr als den im Innenverhältnis auf ihn entfallenden Teil der Geldbuße gezahlt habe, könne bis zum Eintritt der Rechtskraft von den anderen Gesamtschuldner nur verlangen, ihn so zu stellen, dass ihm kein bleibender Nachteil erwachse. Dieser Anspruch könne nament-lich durch Leistung einer Bankbürgschaft erfüllt werden (vgl. Köhler, WRP 2011, 277, 286).
bb) Diese Erwägungen vermögen nach Auffassung des Senats nicht vollständig zu überzeugen.
Eine Gesellschaft, gegen die als Gesamtschuldnerin eine Geldbuße ver-hängt worden ist, kann ein berechtigtes Interesse daran haben, die Geldbuße schon vor Bestandskraft der Entscheidung zu bezahlen. Zwar besteht die Mög-lichkeit, eine Vollstreckung bis zur Bestandskraft durch Sicherheitsleistung ab-zuwenden. Dann besteht aber die Gefahr, dass die Höhe des zu zahlenden Be-trags aufgrund einer angeordneten Verzinsung bis zur rechtskräftigen Entschei-dung über eine Nichtigkeitsklage erheblich ansteigt. Wenn ein Gesamtschuld-ner diesem Nachteil nicht ausgesetzt sein will, kann dies kaum als rechtsmiss-bräuchlich angesehen werden.
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Treuwidrig könnte es allerdings sein, wenn ein Gesamtschuldner auch einen im Innenverhältnis auf die übrigen Gesamtschuldner entfallenden Anteil der Geldbuße bezahlt, ohne diesen zuvor Gelegenheit zu geben, ihn hinsicht-lich dieses Anteils vor einer späteren Inanspruchnahme einschließlich einer drohenden Belastung mit Zinsen abzusichern, indem jeder Gesamtschuldner den auf ihn entfallenden Teil der Geldbuße selbst bezahlt oder der Kommission wegen dieses Betrags zuzüglich der zu erwartenden Zinsen Sicherheit leistet. Im vorliegenden Fall haben die Beklagten eine solche Leistung nur hinsichtlich der Hälfte der verhängten Geldbuße erbracht. Wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Europäischen Union zuträfe, hätten sie aber für zwei Drittel der Geldbuße eine Sicherheitsleistung erbringen müssen. Hinsichtlich des Diffe-renzbetrages dürfte es kaum treuwidrig sein, dass sich die Klägerin für eine Zahlung statt für die Erbringung einer eigenen Sicherheitsleistung entschieden hat.
IV.
Der Senat hält es nicht für sachgerecht, den Rechtsstreit vor einer Vorla-ge an den Gerichtshof gemäß § 148 ZPO auszusetzen.
1. Eine Aussetzung des Rechtsstreits wegen des beim Gerichtshof an-hängigen Rechtsmittels in der Sache Siemens Österreich (C-231/11 P) ist ent-gegen der Ansicht der Revision ausgeschlossen. Jenes Verfahren betrifft kein Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die hier zu treffen-de Entscheidung abhängt. Zwar kann eine Aussetzung in entsprechender An-wendung von § 148 ZPO im Hinblick auf ein anhängiges Vorabentscheidungs-verfahren erfolgen (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – VIII ZR 236/10, RIW 2012, 405 mit weiteren Nachweisen; anderer Auffassung Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 148 Rn. 3b). Anders als bei einem Vorabentscheidungsverfah-ren wird der Gerichtshof aber in der Sache Siemens Österreich, welche die Gül-tigkeit einer Entscheidung der Kommission zum Gegenstand hat, nicht die
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Funktion wahrnehmen, über eine bestimmte, ihm vorgelegte klärungsbedürftige abstrakte Rechtsfrage zu entscheiden. Deshalb kommt eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2012 III ZB 3/12, WM 2012, 2024 Rn. 22).
2. Ob eine Aussetzung im Hinblick auf die von den Parteien erhobenen Nichtigkeitsklagen zulässig wäre, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Eine solche Aussetzung wäre im vorliegenden Verfahren jedenfalls deshalb nicht sachgerecht, weil die Klägerin die Beklagten möglicherweise schon vor der endgültigen Entscheidung über diese Rechtsmittel auf Ausgleich in An-spruch nehmen kann und weil auch diese Frage der Klärung durch den Ge-richtshof bedarf.

LG München I, Entscheidung vom 13.07.2011 – 37 O 20080/10 –
OLG München, Entscheidung vom 09.02.2012 – U 3283/11 Kart –

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